Kapitel 1. 250.000
"Seit den ersten Tagen des Großen Vaterländischen Krieges gewann die deutsche Luftwaffe die Luftüberlegenheit". Diese These wurde in der sowjetischen militärhistorischen Literatur niemals in Zweifel gezogen. Jedes Mal, wenn unsere Militärhistoriker brauchten, eine Zerschlagung, personelle Verluste und Verluste von Technik, eine abermalige Verweigerung der Befehle und Vereitelung aller Pläne zu erklären, so tauchte wieder diese unzerstörbare und legendäre, die allgewaltige und allgegenwärtige deutsche Luftwaffe auf.
Wie eine wütende Valkyrie aus altertümlichen skandinavischen Sagen sausen sie, „Messerschmitts“ und "Junkers", durch die Seiten der heimischen wissenschaftlich - historischen Werke, Hunderte Lagerhäuser und Bahnhöfe, Tausende Panzer, Dutzende Divisionen der Bodentruppen zerstörend … Und das alles – im Laufe von ein Paar Tagen, und - was besonders merkwürdig ist - ohne jeglichen Widerstand seitens der sowjetischen Luftstreitkräfte.
Übrigens, wo ist sie? Wo sind "Stalins Falken", die Helden aller Vorkriegsfilme, Lieblinge aller Mädchen, Schönheit und Stolz des Sowjetlandes? Wo sind die Flugzeuge, die Dutzende Rekorde aufgestellt haben, indem sie die Sonne über Moskau an den Luftparadetagen überschattet haben? Wo ist das Erzeugnis der Produktion von riesigen Flugzeugwerken, wo ist das Ergebnis der Arbeit von Millionen Menschen, die schon in den "friedlichen" Jahren in drei Schichten, von Morgendämmerung bis Morgendämmerung, zu den Klängen des lustigen Marsches (" Uns begegnet der Morgen mit Kühle … ") arbeiteten.
Eine ernste Frage. Die kommunistischen Historiker verstanden das sehr gut und darum bauten sie um den Mythos über "die blitzschnelle Zerschlagung" der sowjetischen Luftstreitkräfte herum eine sichere und tief gestaffelte Verteidigung auf.
Vor allen Dingen - Härte in der Stimme und keine Zweifel. In der ganzen sowjetischen Historiographie betrachtete man das Verschwinden der Luftstreitkräfte der Roten Armee unveränderlich als ein ganz natürliches, unvermeidliches und unter diesen Umständen einzig mögliches Ereignis (" ein plötzlicher Angriff, fehlende Funkverbindung…, eine riesige zahlenmäßige Überlegenheit des Feindes..., massive Schläge auf alle Luftplätze der westlichen Militärbezirke... ").
Gleichzeitig bauten die "Historiker" der politischen Hauptverwaltung der Roten Armee und Marine - wie es Leuten mit Achselklappen gebührt - auch die zweite Verteidigungslinie auf, zu der sie sich (nicht so organisiert wie im Sommer 1941) mit Beginn der Perestrojka zurückzogen, wenn nach Freigabe einiger Teile des Archivs die Mythen über die zahlenmäßige Überlegenheit der Luftwaffe, wie ein Kartenhaus zusammenfielen. Ihre neue Perestrojka-"Wahrheit" sah folgendermaßen aus: " Im Lichte der letzten Veröffentlichungen erfuhren wir vollkommen unerwartet, dass sich die sowjetischen Luftstreitkräfte dem Feind zahlenmäßig überlegen waren, ABER
- die Flugzeuge waren hoffnungslos veraltet, mit den deutschen nicht zu vergleichen (" schlecht ausgerüstet …, hölzern …, brannten, wie Kerzen..., die Nutzdauer des Motors betrug nur 100 Stunden …, Jagdflugzeuge konnten sogar ein deutsches Bombenflugzeug nicht einholen… ")
- und den Assen der Luftwaffe, die zweijährige Kriegserfahrungen gesammelt hatten, stellten sich nicht ausgebildete Buben entgegen ("sechsmonatige Kurse…, sechs Flugstunden nach “Korobotschka“..., man bereitete sie auf Paraden, und nicht auf den Krieg vor…, nur 1192 Flugzeugbesatzungen waren auf Nachtflüge vorbereitet...) -
- der böse und zutrauliche (gleichzeitig!) Genosse Stalin glaubte an die friedlichen Absichten seines neuen Freundes Hitler (die alten Freunde hatte er zu jenem Moment fast alle erschossen), und darum Vorbereitungen zur Abwehr des Feindes untersagte, und ehrliche Kommandeure, die gegen den Befehl von Stalin zu verstoßen (was für ein Befehl? Wann? Worüber?) und die Truppen in Gefechtsbereitschaft zu versetzen versuchten, wurden hingerichtet.
Endlich brachte Viktor Suworow, der in seinen Büchern („Eisbrecher“, „Tag M“) den faulen Sumpf der sowjetischen Historiographie durchwühlt hatte, ein neues, auf den ersten Blick sehr glaubwürdiges Argument vor. Heute weiß schon nur der „faulste und am wenigsten neugierigste“ nicht, wie es alles „in der Wirklichkeit“ war – man bereitete sich auf das Eindringen in Europa vor, alle Luftstreitkräfte zogen zur Grenze, und dort wurden sie von Deutschen überrumpelt. Mit dem ersten Schlag. In der Morgendämmerung am 22. Juni. Alle.
Der Mythos über "den ersten vernichtenden Schlag " kam bei einheimischen Lesern gut an. Er wird sogar von denen fleißig vervielfältigt, die wegen Sympathie zu W. Suworow nicht auffällig wurden (ganz im Gegenteil).
Nun veröffentlichte, zum Beispiel, der Historiker D. Hasanov, der ziemlich solides Ansehen genoß, eine umfangreiche Forschung unter dem Titel "Invasion. Anfang des Luftkrieges an der deutsch-sowjetischen Front". (56) Die ganze „Invasion“ wurde an einem Tag, dem 22. Juni erledigt. Den 23. Juni und die nachfolgenden Tage gibt es nicht, sie sind schon nicht interessant; an ihre Stelle tritt die Analyse der Gründe für die erfolgte Zerschlagung. Der dem breiten Publikum weniger bekannte Historiker aus Uljanowsk M. Timin schreibt das Buch "An der Spitze des Hauptstoßes. Gründe für die Niederlage der Luftstreitkräfte des Westlichen Sondermilitärbezirks". Die Beschreibung der Ereignisse des einzigen, ersten Kriegstages erscheint dem Autor ganz ausreichend dafür, um mit der Auswertung der "Gründe für die Niederlage" zu beginnen. Der zweite, der dritte und alle nachfolgenden Tage wurden in gewöhnlicher Weise mit Stillschweigen umgangen …
Gegen die allgemeine irrige Annahme ist es schwer zu streiten, aber wir werden es versuchen. Vor allem werden wir uns bemühen, klarzulegen, ob das Ereignis in der Realität passierte, dessen Gründe so heiß schon mehr als ein halbes Jahrhundert diskutiert werden? Wurden die sowjetischen Luftstreitkräfte an den ersten Tagen (oder, in einer abgemilderten Version, in den ersten Wochen) des Krieges zerstört?
" … Der 26. Juni. Etwa 20 feindliche Bombenflugzeuge greifen uns an. Einschläge donnern von allen Seiten. Unsere Jagdflugzeuge sind nicht zu sehen.
… Der 27. Juni. Feindliche Bombenflugzeuge griffen uns wieder an. Es wird sehr schwer …
… In der Morgendämmerung hörte der Regen auf, und sofort tauchten die Flugzeuge auf, die die Teile unserer Division ununterbrochen angriffen … Alle Stunde wurden die feindlichen Angriffe erhöht… Der Feind hatte wenigstens hier die absolute Luftüberlegenheit…“
… Auf dem Weg zu Dubno musste die Einsatzgruppe einen Angriff von Bombenflugzeugen erleben… Unsere Flugabwehrkanonen , die feindliche Flugzeuge immer öfter beschossen, konnten die ständigen Luftangriffe nicht stoppen, deren Zahl auf 80 pro Tag stieg… Eine Welle nach der anderen wurden Bomben auf die Kolonnen mit Militärtechnik abgeworfen. Im Rauch der brennenden Fahrzeuge … "
Stimmt es, sehr geehrter Leser, werden die Ereignisse der ersten Kriegstage genau so, genau mit diesen Ausdrücken in allen Büchern beschrieben, die Sie gelesen haben? Die Autoren der oben zitierten Memoiren erzählen über die Ereignisse im Juni 1941, und der Krieg bleibt derselbe… Aber " im Rauch der brennenden Fahrzeuge " waren nicht sowjetische, sondern deutsche Panzerkolonnen (es handelt sich um die Teile der 2. Panzergruppe von Guderian und der 1. Panzergruppe von Kleist; in dichtestem Rauch standen an den Tagen die Kolonnen der 3. Panzergruppe von Gott, auf die von allen Luftstreitkräften der Westfront und Langstreckenbombenflugzeugen am 25. Juni ein massiver Schlag gelegt wurde).
Kann man übertriebene Schlüsse anhand der persönlichen Erinnerungen von ein paar feindlichen Soldaten ziehen? Selbstverständlich nicht. Deshalb wenden wir uns an eine solide Quelle, an eine monumentale Forschung "Das Jahr 1941 – Lehren und Schlußfolgerungen" an. (3) Diese Monographie erschien Ende 1992, unter der Schirmherrschaft des Generalstabs damals noch "der vereinigten GUS-Streitkräfte ", mit einem für Arbeiten solchen Maßstabes ungewöhnlich bescheidenen Vermerk (nur "für den dienstlichen Gebrauch"). Der Leiter des wissenschaftlichen Kollektivs ist der Doktor der Militärwissenschaften, der wissenschaftliche Obermitarbeiter Generalmajor V. P. Nelassow. Am Ende des Buches - Hunderte Bezugnahmen auf die Fonds des zentralen Archivs des Verteidigungsministeriums). So erwähnten die Autoren der Monographie hier auf Seite 151 in einem Nebensatz beiläufig
„... von 250 Tausend Abflügen, die von den sowjetischen Luftstreitkräften in den ersten drei Kriegsmonaten gemacht wurden…“
Zweihundertfünfzigtausend Abflüge für drei Monate.
Sind das die "zerstörten" Luftstreitkräfte?
Stopp. Vielleicht hat sich ins solide Werk ein Fehler eingeschlichen? Hat das Mädchen, das heißt, eine Stenotypistin hatte eine Null mehr eingetippt? Bei weitem nicht. Alle Nullen sind richtig am Platze. Jetzt schlagen wir die noch vor einem Jahrhundertviertel in den Zeiten der "Stagnation" herausgegebene Monographie von Kozhewnikow "Das Kommando und der Stab der Luftstreitkräfte der Roten Armee im Großen Vaterländischen Krieg". (27) Der Autor (wiederum unter Bezugnahme auf das Archiv) teilt mit, dass für die ersten 18 Kampftage (bis zum 10. Juli) die Frontluftstreitkräfte 45 tausend Kampfabflüge gemacht hatten, weiteree 2.112 Abflüge wurden von Langstreckenbombenlflugzeugen gemacht. 47 tausend Abflüge für 18 Tage passen in die Gesamtzahl 250 Tausend Abflüge innerhalb von drei Monaten sehr genau hinein.
Alles wird im Vergleich erkannt. Um die oben genannten Zahlen nach Gebühr einzuschätzen, werden wir Sie daran erinnern, dass innerhalb von fünf Wochen im Mai - Juni 1940 (d.h. praktisch solange der ganze Krieg und die Zerschlagung Frankreichs dauerten) die Jagdflugzeuge der französischen Luftstreitkräfte 10 tausend Abflüge gemacht hatten. (21) In den ersten drei Wochen "der Schlacht um England" machten deutsche Jagdflugzeuge etwa 8 Tausend Abflüge. In drei dramatischsten Monaten des grandiosen Luftkampfes im Himmel Britanniens (August, September, Oktober 1940) machten deutsche Bombenflugzeuge nur 22 Tausend Abflüge. (78) Am intensivsten war für die Luftwaffe der Juni 1942, als deutsche Kampfflugzeuge aller Arten an der Ostfront (nach Angaben der sowjetischen Posten der Luftbeobachtung, -benachrichtigung und -fernmeldewesens) 83.949 Abflüge machten. (76) Wir betonen noch einmal, dass es die (Rekord-) Spitzenleistung der Kampfaktivität der deutschen Luftwaffe ist (die Lage forderte dazu auf - am Boden lief eine das Schicksal des Krieges entscheidende Vordringen von Charkow auf Stalingrad ab).
Für die sowjetischen Luftstreitkräfte war die Schlacht am Kursker Bogen von intensivsten Kampfhandlungen geprägt. Innerhalb von 40 langen Sommertagen 1943 machten sowjetische Flieger 89.300 Abflüge. (25) Mit anderen Worten flogen die „zerschlagenen und „am Boden zerstörten“ sowjetischen Luftstreitkräfte im Sommer 1941 mit solch einer Intensität, die später sowohl die Deutschen, als auch die sowjetischen Luftstreitkräfte nur in einem Monat für den ganzen Krieg erreichen konnten! Warum werden in der Unmenge der Kampfberichte im Sommer 1941 dieselben Phrasen auf verschiedene Arten wiederholt: " während aller Kampfaktionen sind unsere Luftstreitkräfte nicht da..., die feindliche Luftwaffe terrorisiert buchstäblich unsere Teile, wobei sie unbestraft bleibt..., unserer Luftstreitkräfte sind nicht zu sehen…, die größten Verluste und, das am wichtigsten ist, Panik werden durch die feindliche Luftwaffe verursacht, die das Fehlen der Luftstreitkräfte in unserem Gebiet ausnutzend, die ganze Zeit im Tiefflug fast unbestraft arbeitete..."
Zum Jahre 1944 (nicht für drei, sondern für alle 12 Monate des Jahres) machten die Jagdflugzeuge an der Ostfront 69,8 Tausend Abflüge, die Bombenflugzeuge und Erdkampfflugzeuge - 226,5 Tausend Abflüge. (131)
Insgesamt - 296 Tausend Abflüge. Für das ganze Jahr. Und obwohl die deutsche Luftwaffe damals die Luftüberlegenheit über der Ostfront unwiederbringlich verlor, beschrieb niemand ihren Zustand einmal mit den Worten "zerstört"; niemand schrieb irgendwo, dass man 1944 im Kriegshimmel kein Flugzeug mit Hakenkreuzen auf dem Rumpf sehen konnte…
Jede Medaille hat bekanntlich zwei Seiten.
250.000 Kampfabflüge sind unbegreiflich viel. Es ist sehr viel im Vergleich zu der Legende über "die zerstörten Luftstreitkräfte". Es ist viel im Vergleich zu den dürftigen Ergebnissen, besonders wenn mit der Effektivität der Kampfhandlungen der Luftwaffe verglichen wird, die, wie man üblich denkt (werden wir diese Bemerkung so fett wie möglich unterstreichen!), einen riesigen Schaden den sowjetischen Truppen zufügte.
Andererseits sind 250.000 Kampfabflüge für drei Monate merkwürdig wenig. Genauer gesagt, ist es fünfmal weniger, als es sein sollte, unter Berücksichtigung der ursprünglichen Stärke der sowjetischen Luftstreitkräfte und die Möglichkeiten, die Verluste der Flugzeuge nachzuholen, über die diese Luftstreitkräfte verfügten. Heute kann jeder Interessent Zugang zur Statistik haben (die ausführliche Übersicht folgt im Teil 3 des vorliegenden Buches).
Nach der Mindesteinschätzung (mit Ausnahme von Aufklärungs-, Sanitär- und Transportflugzeugen, ohne Berücksichtigung der veralteten Doppeldecker I-15bis und der langsamen viermotorigen Riesen ТB-3, wassergestützten Flugzeuge aus dem Bestand der Luftstreitkräfte der Flotten, der Luftregimente und Divisionen, die damals aufgestellt wurden) zählte die Gruppierung der sowjetischen Luftstreitkräfte, die zum 22. Juni 1941 auf dem Kriegsschauplatz entfaltet war, 4,8 Tausend Jagdflugzeuge und 3,5 Tausend Bombenflugzeuge. Ausgehend von der mittleren - für Mitte Sommer mit der Dauer des Lichttages von mehr als 17 Stunden sehr mittleren Einsatzintensität der Kampfflugzeuge (zwei Abflüge pro Tag bei Jagdflugzeuge, ein Abflug pro Tag bei Bombenflugzeugen) sollte solch eine Gruppierung 13 Tausend Abflüge der Kampfflugzeuge pro Tag sicherstellen. Tatsächlich wurden in den ersten 18 Kriegstagen durchschnittlich etwa 2,5 Tausend Abflüge gemacht.
Zu den derart merkwürdigen Schlüssen führt uns die Betrachtung der tatsächlichen Zahl der Abflüge, die in einzelnen Truppenteilen und Verbänden gemacht wurden. So bedeuten zweitausend Abflüge, die zum 10. Juli von Langstreckenflugzeugen gemacht wurden, (unter Berücksichtigung der ursprünglichen Stärke von neun Divisionen der Langstreckenflugzeuge, die auf westlichem Kriegsschauplatz entfaltet waren) nur einen Abflug pro 11 Tage. Der Begriff "Langstreckenflugzeuge" sollte einen unerfahrenen Leser nicht verwirren. Die Rede ist nicht von riesigen "fliegenden Festungen", sondern von den zweimotorigen Bombenflugzeugen DB-3f, deren Startgewicht sogar weniger war, als das Gewicht der "Junkers" und "Henkels", die täglich und mehrfach die Stellungen unserer Truppen bombten.
Der berüchtigte "plötzliche Schlag auf friedlich schlafende Flugplätze" verringerte die Anzahl der "Langstreckenbombenflugzeuge" um kein Flugzeug. Die Langstreckenflugzeuge waren am Vorabend des Krieges in den Bezirken von Nowgorod, Smolensk, Kursk, Kiew und Saporozhje stationiert. Am 22. Juni wurde auf diese Flugplätze kein Angriff gemacht, und über den Beginn des Krieges gegen Deutschland erfuhren die Flieger der Langstreckenbombenflugzeuge auf Kundgebungen, die in allen Teilen nach Molotows Auftritt im Unionsrundfunk stattfanden.
Auch auf einer Kundgebung, am Mittag des 22. Juni 1941 erfuhren über den angefangenen Krieg die Flieger des 202. Bombenflugzeugregiments aus dem Bestand der 41. Fliegerdivision. Dieses Regiment war bei der Stadt Kingisepp (Gebiet Leningrad) stationiert, und seine Flugplätze wurden innerhalb der ersten Kriegstage keiner Einwirkung des Feindes ausgesetzt. In der Monographie, die der Geschichte des Kampfweges des Regiments gewidmet wurde, steht, dass "mit nur 22 Flugzeugen im Regiment die Belastung auf jedes Flugzeug bis zu drei-vier Abflügen pro Tag ausfiel". Und weiter werden die zusammenfassenden Daten aus dem Bericht von der Kampftätigkeit des 202. Bombenflugzeugregiments an der Leningrader Front angeführt: " Im Laufe der Kampfaktionen vom 22. Juni bis zum 28. August 1941 machte das Regiment 194 Kampfabflüge… Auf den Feind wurden 107 Tonnen Bomben abgeworfen, es wurden etwa 100 Panzerkampfwagen und selbstfahrende Geschütze, 2 Eisenbahnzüge, 1400 verschiedene Fahrzeuge und Fuhrwerke zerstört…"(85)
Wollen wir die erschütternde Effektivität der Kampfaktionen des Regiments nicht einmal besprechen, wollen wir uns keine Gedanken darüber machen, dass wenn 194 Abflüge der leichten Bombenflugzeuge SB für die Zerstörung von "100 Panzern und 1400 Kraftfahrzeugen und Fuhrwerken" (d.h. ungefähr die Hälfte des Kriegsgerätes einer deutschen Panzerdivision) ausreichend waren, so wie ist es in diesem Fall möglich, daß nach 250.000 Abflügen in der Wehrmacht ein einziger Soldat am Leben geblieben und ein einziges Fuhrwerk unbeschädigt geblieben ist … Versuchen wir, uns mit einer ganz einfachen rein arithmetischen Frage auseinanderzusetzen. Die oben erwähnte Zahl von Abflügen bei der oben erwähnten Intensität (jedes Flugzeug machte bis zu drei-vier Abflügen pro Tag) hätte das Regiment innerhalb dreier Tage schaffen müssen. Bis zum 25. Juni. Und gar nicht zum 28. August.
Der Leningrader Militärbezirk ist die nördliche Flanke des Krieges. Im Himmel über der südlichen Flanke kämpften die Luftstreitkräfte aus dem Odessaer Bezirk und die Luftstreitkräfte der Schwarzmeerflotte. Insgesamt 900 Jagdflugzeuge und 350 Bombenflugzeuge. Dieser Luftarmada stellte sich das 4. Fliegerkorps der Luftwaffe entgegen, das am 22. Juni 1941- 116 "Messerschmitts" im Bestand hatte. Weitere 47 "Messerschmitts" hatte in ihrem Bestand die Jagdflugzeuggruppe III/JG-52, die rückwärtige Objekte in Rumänien deckte. In einer der Monographien, die Kampfaktionen im Sommer 1941 in der Ukraine beschreibt, lesen wir: " An den meist gespannten Tagen während der Kämpfe um Berditschew waren seit dem 13. Juli in den Stellungen der 6. Armee nur die Luftstreitkräfte der südlichen Front aktiv, die pro Tag von 30 bis zu 80 Abflügen machten"(40) Von 30 bis zu 80 Abflügen pro Tag während "der meist gespannten Kämpfe" hätten eine oder zwei Staffeln mit je bis zu 12 Flugzeugen schaffen, und nicht die Luftstreitkräfte der ganzen Front…
So einen „merkwürdigen Krieg“ hatten wir im Sommer 1941. Die riesigen sowjetischen Luftstreitkräfte tauten, wie der Schnee in der Frühlingssonne, und das Wenige, das übrig blieb, wurde kaum zu einem Fünftel der eigenen Möglichkeiten benutzt, aber dabei betrug die Zahl der Abflüge Zehn- und Hunderttausende, aber es stoppte den Gegner durchaus nicht …
Nachdem diese und viele andere Tatsachen an die Öffentlichkeit gebracht worden waren, wurde es besonders klar, wie weise und weitsichtig die sowjetischen Historiker waren, die beizeiten einen Haufen Märchen über "die hoffnungslose technische Zurückgebliebenheit" der sowjetischen Luftstreitkraft erfunden hatten. Ohne diese Werke sollten sie eine Menge unangenehmer Fragen beantworten. Und so ist auch ohne Fragen alles klar - "Leimholzregale",- mit deutschen Flugzeugen gar nicht zu vergleichen. Darum wurden sie wie Rebhühner abgeschossen… Warum wurde der Krieg in der Luft verloren? Weil die Flugzeuge schlecht waren. Und woraus ist ersichtlich, das die Flugzeuge schlecht waren? Weil der Krieg in der Luft verloren wurde…
Viel weit vorgreifend, werden wir sofort den Leser darüber benachrichtigen, dass die ganze Diskussion über die taktisch-technischen Daten der sowjetischen Flugzeuge am Kriegsbeginn absolut sinnlos ist. Der Autor ist davon tief überzeugt, dass wenn unsere Luftstreitkräfte vollständig auf "MIGs" umgerüstete worden wären- und nicht auf die damaligen „MIGs-3“, sondern auf die heutigen „MIGs-29“, so hätten wir dasselbe Ergebnis gehabt. Und auf die geehrtesten Leser - das heißt diejenigen, die niemandem auf das Wort glauben will, warten folgende neun Kapitel, in denen wir versuchen werden, zwei Fragen ziemlich ausführlich klar zu stellen: warum fliegen und wie kämpfen Flugzeuge.