Kapitel 19. Die große Weisheit des Genossen Stalin
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Das Regime von Stalin beendete der Krieg im Schein und Glanz des größten Triumphes. Der Chef selbst wurde als der genialste Feldherr aller Zeiten und Völker dargestellt. Die entzückten und bezauberten Satrapen verliehen ihm den höchsten Dienstrang des Generalissimus. Es gab echt genug Gründe für die Feier: das Wachstum der militärtechnischen Mächtigkeit des kommunistischen Regimes, eine riesige Vermehrung dessen Möglichkeiten führten dazu, dass die ganze Welt vor Angst zitterte, und waren unbestreitbar. Die riesige Armee (die nicht mehr "Rote Armee" hieß, weil die letzten Erinnerungen an die revolutionäre Vergangenheit überflüssig wurden) stand schon am Donau- und Elbeufer. Aus dem besiegten Deutschland wurden Tausende Tonnen technischer Dokumentationen, ganze forschungswissenschaftliche Kollektive, Konstrukteure abtransportiert.
Bei den leichtgläubigen feindlichen Alliierten wurden neueste Militärtechnologien mit List und Tücke gekauft, erworben, gestohlen. Die Beute war riesig: reaktive Motoren, Flugabwehrraketen, Radargeräte, ballistische Raketen, zielsuchende Infrarotsysteme … Zu guter Letzt setzten allen Bemühungen zwanzig Tausend Seiten der technischen Beschreibung der amerikanischen Atombombe die Krone auf, die lediglich vier Jahre nach dem Fall von Berlin nachgemacht und erfolgreich getestet wurde.
Das Leben der Staatsangehörigen des Imperiums war auch ganz anders und beispiellos. Ehrlich gesagt, war in "Russland, das wir verloren haben", ein einfacher Werktätiger nicht besonders begütert, und mußte alle 5-7 Jahre nach abermaligen Petrus Launen und der dadurch verursachten Mißernte gar hungern. Die Wohnfrage, die sich in den Jähren der beschleunigten Industrialisierung verschärfte, zwang Dutzende Millionen der "mit allen Machtbefugnissen ausgestatteten Herren des Landes" dazu, Schlange nach Zimmern in Mehrfamilienwohnungen zu stehen. Durch all das wurde die Freude natürlich nicht größer und das zwang die offizielle Propaganda dazu, Vergeßliche mit besonderem Eifer daran zu erinnern, dass "das Leben besser und fröhlicher geworden ist". Aber solch ein erschreckendes Elend, in welchem Sowjetbürger Ende der 40-er Jahre lebten, hatte es nie gegeben.
Hunderte Städte und Zehntausende Dörfer waren von der sich zurückziehenden deutschen Armee dem Erdboden gleich gemacht, die von ihrer Führung auch den Befehl bekommen hatte, alles und alle zu vernichten, diesen jedoch im Gegensatz zur Roten Armee mit deutscher Beharrlichkeit und Pedantismus ausführte. Millionen Familien blieben ohne Männer, Arbeiter und Geldverdiener, Millionen Invaliden wurden zur Last sowohl für sich selbst, als auch für ihre Nächsten. Das Volk lebte in Baracken, Erdhütten, Schuppen, Kellern, mit "Bequemlichkeiten" (Toilette) im Hof und Wasserhahn im benachbarten Stadtviertel. Und diese unendlich ermüdeten, erschöpften, abgelumpten und hungrigen Menschen wurden gezwungen, Arbeiten zu verrichten, die ihre Kräfte überstiegen.
Nein, Stalin war kein böser Mensch von Natur aus, er hätte auch (eventuell) seinen Sklaven gerne eine Verschnaufpause gegeben, aber diese Möglichkeit gab es einfach nicht. Man mußte sich beeilen, man ließ die Zeit auch ohne weiteres hoffnungslos verstreichen: die Amerikaner hatten Bomben (allerdings wusste niemand genau, wie viele) und sollten in Kürze unverletzbare Beförderungsmittel bekommen. Es blieb ganz wenig Zeit für den zweiten (und wie Stalin sehr gut verstand - den letzten Versuch in seinem Leben), die Welt zu erobern. Deshalb summten und ratterten wieder die Werkshallen riesiger Militärbetriebe rund um die Uhr, wieder „begegnete jeder Morgen“ der bereits wie eine Zitrone ausgequetschten Nachtschicht, die für die nächste Schicht verdammter "Befreier" Plätze an den Werkbänken und Maschinen frei gemacht hatte, „mit Kühle“, wie es in einem alten Vorkriegslied hieß.
Stalin hatte keine überflüssigen Ressourcen, um jeden Sieger, der das von ihm organisierte internationale Gemetzel überlebt hat, zu ernähren, mit Kleidung und Schuhen vollständig zu versorgen, ihm anständige Unterkunft und einen billigen "Volkswagen" zur Verfügung zu stellen. Aber er war klüger. Er hatte die große Weisheit an den Tag gelegt und ein einziges, aber echt königliches Geschenk für alle gemacht: Stalin schenkte seinen Staatsangehörigen ein MÄRCHEN.
Oh, dieses Märchen war gleichzeitig schön und schrecklich. Es war ein Märchen über ein junges und schönes Land, in dem es sich auf weiträumigen Feldern und Flüssen ungewöhnlich leicht und glücklich atmen ließe. In diesem Land seien alle gleich und frei, dort gäbe es keinen Neid, Denunziationen, Folterungen, Erschießungen, Konzentrationslager. Kirchen und Gefängnisse wären dem Erdboden gleichgemacht worden. Die friedliche, schöpferische, kostenlose Arbeit wurde Herr dieses Landes und hievte über diesem Land sein Symbol - Schild und Schwert (NKWD symbol). Aber einmal, an einem sonnigen Sommermorgen, überfielen dunkle Mächte das schöne Land plötzlich und hinterhältig. Und dann erhob sich das ganze Volk geschlossen zu einem Todeskampf.
Es war wirklich ein Todeskampf, da unzählige feindliche Horden mit neuesten Waffen ausgestattet waren, und der weise Herrscher des schönen Landes trat oft auf der internationalen Arena auf, wo er eine unveränderlich friedliche Außenpolitik durchführte, und dachte an den Krieg überhaupt nicht. An dieser Stelle verlor das Märchen schon die letzten Reste des gesunden Menschenverstandes (worin sonst bestand denn die Weisheit des weisen Herrschers, wenn dumme Leute ihn wie ein Kind an der Nase herumgeführt haben), aber liebt man denn Märchen für den verdammten "gesunden Menschenverstand"? Die edle Wut der friedlichen Menschen schäumte wie eine Welle auf und stürzte sich auf die verfluchte Erobererhorde hernieder. Die Verteidiger des wunderbaren Landes hätten keine Panzer, keine Flugzeuge, keine einfachen Gewehre gehabt, dagegen hätte es einen in der Geschichte beispiellosen Massenheroismus gegeben. Sie warfen sich mit der Brust auf feindliche Maschinengewehre, sie warfen sich mit Molotow-Cocktail-Flaschen unter feindliche Panzer, sie standen auf dem Schafott, den Feinden ins Gesicht schreiend: "Wir sind zwei Hundert Millionen! Ihr könnt alle nicht erhängen!" Und die schwarzen Horden liefen aus Angst aus diesem Land weg, und die ganze Welt begegnete begeistert die Armee des weisen Herrschers mit Blumen und erbeuteten Akkordeonen.
Erwachsene Menschen hörten dieses Zaubermärchen und vergaßen alles, was sie mit den eigenen Augen gesehen hatten. Und als der blutrünstige und gemeine Märchenerzähler starb (oder von seinen Genossen aus dem Politbüro rechtzeitig vergiftet wurde), schluchzten Millionen Menschen und bekamen Zustände.
Chruschtschow hatte keine Angst, im Land, in dem er unerwartet für sich an die Macht kam, vieles zu ändern. Er riskierte viel, als er Millionen Häftlinge aus Haftanstalten entließ, er riskierte stark, wenn er im Beisein seiner Mittäter die Verbrechen Verbrechen in der Öffentlichkeit nannte. Er hatte sogar keine Angst, die Mumie von Stalin aus dem Mausoleum entfernen und verbrennen zu lassen. Aber Chruschtschjow fing auch nicht an, die offizielle Version der Kriegsgeschichte zu ändern. Er wagte nicht, eine ernste und unangenehme Untersuchung der tatsächlichen Ursachen der Militärkatastrophe des Jahres 1941 durchzuführen. Und wozu? Um die Wahrheit festzustellen? Der Lebenslauf des Genossen Chruschtschow gab ihm kaum die Möglichkeit, sich an die Bedeutung dieses Wortes zu erinnern und diese zu verstehen. Um die Schuldigen zu bestrafen? Ohne jegliche Untersuchung wäre es klar gewesen, dass zu den Hauptschuldigen auch Zhukov, ohne wen Genosse Chruschtschow nicht an der Macht geblieben wäre, und Chruschtschow selbst als einer der treuen Mitkämpfer von Stalin gehören wird. Als Hauptschuldigen hätte jede unparteiische Untersuchung das kommunistische Regime gebrandmarkt, das Chruschtschow gar nicht zerstören möchte.
Gerade darum wurde entschieden, einen großen Punkt, genauer gesagt, ein Ausrufezeichen zu setzen, das von dem Zeitpunkt an auf Hunderte Seiten der Millionen Bände "der militär-historischen Untersuchungen" gesetzt wurde. Und auch in den Fällen, wenn eine ernste Arbeit eines westlichen Historikers unter dem Vermerk "Für dienstlichen Gebrauch" übersetzt und in einer sehr kleinen Auflage herausgegeben wurde, erschien auf der ersten Seite die strenge Warnung: "Aufgrund seiner Beschränktheit und der Klassenzugehörigkeit konnte der Autor nicht auf die wahren Quellen der hohen moralischen Eigenschaften der sowjetischen Krieger - Stärke und große Vorteile der sozialistischen öffentlichen Staatsordnung, die Völkerfreundschaft in der UdSSR, der sowjetische Patriotismus und der proletarische Internationalismus, alleinige Herrschaft der kommunistischen Partei über alle Lebensbereiche im Land in den Kriegsjahren hinweisen".
Übrigens brauchen andere Werke der westlichen Historiker auch keine agitationspropagandistischen Kommentare. Die berüchtigte "politische Korrektheit", auf die die heutige Welt einen stillen Fimmel hat, trug in Verbindung mit der altersbedingten Krankheit der "linken politischen Anschauungen", an der westliche Intellektuelle litten, zu einer absolut nicht kritischen Wahrnehmung und Vervielfältigung von militär-historischen Mythen der sowjetischen Propaganda sehr weit von Moskau bei. "Trotz allen Gegenbeweisen und bereits zu der Zeit, als Genosse Stalin seit langem als Verbrecher gegen die Menschheit entlarvt wurde und die Sowjetunion sich ihrem Untergang näherte, wurde in Oktober 1991 im Rahmen der internationalen Konferenz, die vom Forschungszentrum der Bundeswehr für Militärgeschichte in Freiburg veranstaltet wurde, über "den Massenheroismus, Tapferkeit und Standhaftigkeit" gesagt, die alle Rotarmisten ohne Ausnahme seit Anfang des Krieges gezeigt hatten. Wenn solche Behauptungen widerspruchslos, sogar mit Beifall im Auditorium wahrgenommen wurden, das Ansprüche auf Kompetenz und Wissenschaftlichkeit hätte haben sollen, was soll man von der breiten Öffentlichkeit erwarten, deren historische Erkenntnisse hauptsächlich nur auf den oberflächlichen Mitteilungen von kaum nicht noch weniger unkundigen jedoch eindeutig politisch ausgerichteten Journalisten basierten? "(42, S. 95)
Wenn die relativ freie westliche Presse in dieser Angelegenheit solche Beurteilung verdient, wie soll man also das bezeichnen, was Jahrzehnte lang den sowjetischen Menschen eingetrichtert wurde? Jedoch wollen wir die Rolle der Propaganda nicht über das Maß und den Verstand hinaus übertreiben. Der Propaganda glaubt man, wenn man ihr sehr glauben will. "Ach, es ist nicht schwer, mich zu belügen, ich lasse mich selbst gern belügen“.(Pushkin)
Der bornierten und primitiven sowjetischen Propaganda wurde nicht immer geglaubt. Mochte man im Rundfunk und Fernsehen auch noch so viel über "den Verfall des Westens und die dritte Etappe der allgemeinen Krise des Kapitalismus" geplaudert, es kitzelte das Volk, nach diesen "verfallenden Westen" abzuhauen - wenn nicht für immer, dann zumindest zwecks einer touristischen Reise, um Jeans und einen japanischen Kassettenrecorder mit zwei Kassettenfächern zu kaufen. Mochten kundige Fachleute und mäßig anständige Politiker auch noch so viel verwarnen, daß in der Marktwirtschaft keine gebratenen Tauben in den Mund fliegen und die Freundschaft im Konkurrenzkampf nicht die Oberhand gewinnen kann, sie wurden nicht erhört und auch wurde ihnen nicht geglaubt.
An die heldenhaften Mythen der sowjetischen Geschichte glaubt auch heute nur, wer an sie sehr glauben will. Und an was noch, außer den schrecklichen Märchen, können sich die Vertreter des modernen russischen Publikums berauschen, deren "Minderwertigkeitskomplex", der dadurch verursacht ist, dass das Land jetzt nicht nur hinter Westeuropa, sondern auch hinter sich stürmisch entwickelnden Staaten Asiens und Lateinamerikas fortschreitend zurückbleibt, sich bizarr mit Herrschaftsansprüchen verflicht. Worauf können sie noch stolz sein? Auf den jetzigen Status eines so genannten "großen energetischen Staates"? Auf Büros in Moskau, die aus finnischen und italienischen Materialien mit Hilfe der deutschen Technik von türkischen Bauarbeitern gebaut wurden und in welchen einige Tausende Manager mittleren Ranges auf importierten Stühlen sitzen und auf chinesischen Rechnern die Gewinne aus den Exporten von russischem Erdöl ausrechnen?
Die Wahrheit siegt nicht - die Wahrheit bleibt. Eine echte, unvoreingenommene und auf Dokumenten und Fakten beruhende Chronik des Grossen Vaterländischen Krieges wird unbedingt die Welt erblicken. Wann? Die Antwort auf diese Frage ist sehr einfach. Nicht früher, jedoch nicht später, als die heutige, schon lange andauernde "dunkle Zeit" zu Ende geht, und Russland endlich ihre würdige Stellung unter zivilisierten Ländern einnehmen wird. Erst dann werden wir ehrlich zugestehen können, dass es in der Geschichte unseres Landes nicht nur ehrenvolle Siege, sondern auch beschämende Niederlagen gab.